Der letzte Schnee im Harz (Erbsensuppe die Dritte)
08.03.2018
Vor wenigen Tagen noch herrschte Väterchen Frost. Doch nun taut überall der Schnee, das letzte Eis schmilzt. Aus
tausenden kleinen Poren zwängt sich das allererste zarte Grün vorsichtig ans Licht. Die Sonne heizt überall schon kräftig
ein und man glaubt, schon den Duft des Frühlings zu spüren. Es ist wie ein allgemeines Durchatmen nach diesen
klirrend frostigen Nächten. Trotzdem ist mir noch einmal nach richtigem Schnee unter den Füßen und den Randau-
Wasserfall möchte ich gern sehen, solange der noch gefroren ist. Es könnte ja sein, dass mich der Klimawandel um
dieses Schauspiel im nächsten Winter betrügen wird und deshalb „reiten“ wir heute, am Internationalen Frauentag, in
den Harz. Dort liegt noch genug Schnee und außerdem hatte ich schon zwei Mal vergeblich versucht, den Parkplatz von
Torfhaus „anzufliegen“, jedoch stets wegen Überfüllung, auch der Straßenränder, „Landeverbot“ erhalten. Wenn sich
nämlich schon zwei Kilometer vorher das Blech am Straßenrand „stapelt“, ist der Parkplatz erst recht voll. Diesmal, an
einem Tag mitten in der Woche und Schulferien sind auch keine, sollte das Glück uns hold sein!
Wir fahren durch Bad Harzburg, vorbei am Einstieg zum Burgberg und auch vorbei am Eingang zum Baumwipfelpfad
sowie Märchenwald. Wir lassen das Ortsschild hinter uns, die Berghänge rücken uns auf die Pelle und die Straße windet
sich ins Tal hinein. Hinter einer Linkskurve taucht urplötzlich die Waldgaststätte „Randau – Wasserfall“ auf. Heute ist
Ruhetag und der Parkplatz leer. Normalerweise wäre der voll und ein Parkplatz ein Hauptgewinn. Doch heute kann man
nicht hinein, sondern daran vorbei zum Wasserfall spazieren und genau das haben wir vor.
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Diese Attraktion ist, wie der Wasserfall vom „Königreich Romkerhall“ auch, ein künstlich angelegter Marketing-Gag aus
dem Jahre 1859, um Kurgäste und Urlauber in die Region zu locken. Die Randau, ein kleines Gebirgsflüsschen, stürzt
hier über zwanzig Meter tief an einem Felsvorsprung entlang. Der Gag funktioniert auch heute noch und erst recht im
Winter, wenn das Wasserspiel zu Eis erstarrt am Felsen klebt und nur noch träge über den dicken Eispanzer gleitet.
Hinter dem Dach der Gaststätte leuchtet das Eis zwischen den Bäumen herüber. Es sind nur wenige Schritte, am Gehöft
vorbei, und dann stehe ich davor und kann dieses Stein- und Eisgebilde in seiner ganzen Schönheit bestaunen. Nur der
schmale Wasserlauf der Randau bildet noch eine letzte Barriere. Die jedoch kann man über einen Steg hinter sich
lassen. Dann stehe ich direkt vor den gefrorenen Wasser- und Eisspielen, die langsam zu tauen beginnen. Ein
beeindruckendes Naturereignis, auch wenn der Mensch seine Finger im Spiel hatte. Am Zauber des Betrachtens ändert
das nichts, zumal das Wasser meist noch gefroren und erstarrt in der Mittagssonne glitzert und ein kleiner Teil schon
wieder von oben herab plätschert. Vor mir rauscht das fallende Wasser, hinter mir das Flüsschen und unter meinen
Füßen schmilzt ein dicker Eispanzer langsam zu Matsch.
Auf dem Rückweg zum Parkplatz müssen wir am „Bahnhof Randau“ vorbei gehen. Ein Spaßvogel hat hier Schienen in
einem engen Kreis verlegt. Die Spurweite eine Handbreite und der Kreisdurchmesser beträgt höchstens drei Meter.
Darüber besagtes Bahnhofsschild und auf der Gegenseite, über einer Sitzgelegenheit, ein weiteres mit der Aufschrift
„Wartesaal“. Für Erwachsene viel zu klein, aber Kinder haben sicherlich viel Spaß daran, die Sitze auszuprobieren oder
dem Schienenverlauf zu folgen. Dazu müsste es allerdings erst noch Frühling und etwas wärmer werden.
Minuten später rollen die Räder wieder über die Piste. Links und rechts dichter Wald und davor breite Schneebarrieren,
die mit zunehmender Höhe auch höher wachsen. Ab siebenhundert Metern sind wir im Winter. Die kleine Siedlung
Torfhaus liegt auf achthundert Höhenmetern und besteht aus vielen Skihütten, Lokalen, Hotels, der Jugendherberge
und eben einem großen Parkplatz, der zu klein ist, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Vor allem Sonn- und Feiertags
und während der Ski-Saison, wenn alle im weiten Umkreis einmal den Hang hinunter gleiten möchten und deshalb aus
allen Richtungen zum Berg pilgern. Doch heute hängen die Wolken tief. Das war schon von unten zu sehen. Der
Brocken hat seine Wolkenmütze aufgesetzt und der Parkplatz lädt diesmal zum Aussteigen ein. Kein Warten in der
Autoschlange und auch kein Hoffen auf einen freien Platz. Alles ganz in Ruhe: Einbiegen, einchecken, einparken, danach
aussteigen und Lily an ihre Leine nehmen. Wir sind oben, wir sind noch einmal im Schnee, im Winter!
Hinter der hölzernen Barriere fällt der mit Schnee bedeckte Hang sanft nach unten ab. Auf dem Hang nebenan wird
gerodelt, doch es sind nur wenige Besucher hier.
Der große Ansturm ist vorüber. Jetzt kann man tatsächlich
winterliche Ruhe und den Blick über die bewaldeten Höhen bis fast zum Brocken genießen. Was für ein majestätischer
Anblick! Ein wenig bin ich sprachlos und muss diesen Weitblick in mich aufsaugen, ihn abspeichern. Ich staune und
habe das Gefühl, der Brocken da drüben stünde fast auf Augenhöhe. Doch bis dort hinüber sind es gut und gerne acht
Kilometer und der Wanderer muss über dreihundert Höhemeter überwinden. So schön der Anblick auch ist, er verzerrt
die Realität und erst, wenn man sich auf den Weg macht, wird man die Mühen des Aufstiegs auch spüren. Keine
Ahnung, wann die Augen wieder so entspannt über die winterlichen Kuppen im Hochharz schweifen und die Szenerie
genießen können. Dunkles Grün der Tannen, durchsetzt vom schneeweißen Flair wie aus einem Reiseprospekt, nur eben
alles in echt. Irgendjemand hat einen Mini-Schneemann auf einen Stein gesetzt. Dahinter führen viele Spuren den Hang
hinunter zum Waldrand. Wir sind neugierig und folgen ihnen im Schnee.
Vielleicht hätte ich vorher auf eine Karte schauen sollen. Unten angekommen, verlieren sich der Weg und die Spuren
weiter unten zwischen den Bäumen, quasi im Unterholz. Also kehren wir um, zumal unsere kleine Hundelady zu frieren
scheint. Später werden wir feststellen, dass der Weg unten abbiegt und als Schleife am anderen Ende des Parkplatzes
wieder auftaucht. Wahrscheinlich wären wir für ein paar Minuten durch tief verschneiten Wald gestampft und hätten uns
dort mit einer Zusatzportion von Gelassenheit aufladen können. Also stampfen wir wieder zurück, Lily rennt
überglücklich vornweg und die Portion Gelassenheit nehmen wir uns von dieser Seite des Hanges mit. Frische Winterluft
pulsiert jetzt in den Adern, Adrenalin ist reichlich ausgeschüttet, meine alte Pumpe rockt wieder und Lily zittert zum
Gotterbarmen. Sie wird in ein Badetuch gewickelt und freut sich nun doch, dass es wieder nach Hause geht.
Ich gebe Gummi und werde, als es gerade so richtig schön schnurrt, von einem, Pardon, „Fischkopp“, der frech auffährt
und mir die Vorfahrt nimmt, ausgebremst: Kennzeichen RZ. Der tingelt gemächlich bis Braunlage vor mir her, durch
Braunlage hindurch und dann habe ich die Nase voll. Weil überholen hier eher etwas für „Organspender“ ist, biege ich
bei „Kukki“ rechts auf die Lichtung und stelle mein Gefährt ab. Lily bleibt eingewickelt im Auto, uns ist nach
Erbsensuppe mit „Bockworscht“, direkt aus dem Kessel. Es ist 13.00 Uhr, der Magen hat Appetit und Kukki’s
Erbsensuppe ist Kult. Wir löffeln bis der letzte Klecks aus der Schüssel verschwunden ist, während es überall im Wald
von oben tröpfelt. Es taut und hier (halb)unten liegt kaum noch Schnee. Der wird sich auf den Brocken zurückziehen,
wohin ihm die Sonne folgen und bald den Garaus machen wird. Da haben wir heute wohl genau das Richtige getan und
noch einmal den Nationalpark Harz im weißen Winterkleid erlebt. Doch bald wird es heißen: „Vom Eise befreit sind
Strom und Bäche durch des Frühlings holden belebenden Blick.“ Daran hat sich seit Goethe’s Zeiten nichts geändert.
Ich bin der RockRentner im Harz
und berichte hier von meinen Wanderungen, Begegnungen und Erlebnissen (nicht nur) im Harz.